Augmented-Reality-Tools halten Produktion am Laufen

Wie viele Kolleg:innen arbeitete auch Lucy Hawarden, Senior Research Investigator bei Bristol Myers Squibb, im vergangenen Winter von ihrem Büro im Nordwesten Englands aus. Doch eine Woche lang waren ihre Augen dabei auch auf Ereignisse gerichtet, die Tausende von Meilen entfernt waren: Ausgestattet mit einem Augmented-Reality-Headset beobachtete sie in Echtzeit Labore und Produktionsbereiche einer pharmazeutischen Fertigungsanlage in Asien, während dort Chargen eines neuen Prüfmedikaments des Unternehmens für eine klinische Studie hergestellt wurden.

Senior Research Investigator Lucy Hawarden

Senior Research Investigator Lucy Hawarden

Unter normalen Umständen wäre Lucy Hawarden in ein Flugzeug gestiegen, um die Einrichtung des Auftragsfertigungspartners zu besuchen. Denn ein wichtiger Meilenstein stand an: Die Produktion der pädiatrischen Formulierung des Medikaments. Als "Lead Formulator", die für diese Darreichungsform verantwortlich ist, wäre Lucy Hawarden vor Ort gewesen, um die Aktivitäten persönlich zu überwachen. Aufgrund der COVID-19-bedingten Reisebeschränkungen war es ihr nun aber nicht möglich, vor Ort zu sein. Mithilfe der neuen Technologie konnte sie dennoch anwesend zu sein.

"Ich konnte alle Phasen der klinischen Herstellung aus der Ferne beobachten und dem dortigen Team Feedback geben: Von der Dosierung und Mischung über die Granulierung bis hin zur Komprimierung und Beschichtung", sagt sie. "Die Chargen wurden erfolgreich hergestellt und freigegeben, sodass der Zeitplan für die Entwicklung des Medikaments eingehalten werden konnte."

Augmented Reality im Gesundheitswesen: biopharmazeutische Herstellung

COVID-19 hat die Verwendung von Video- und Web-Konferenz-Tools an vielen Arbeitsplätzen beschleunigt, so auch bei Bristol Myers Squibb. Diese Technologie geht allerdings noch einen Schritt weiter, vor allem in der Global Product Development & Supply (GPS)-Organisation, die die weltweite Produktentwicklung, Herstellung und Lieferung der Medikamente des Unternehmens überwacht. Hierzu werden spezielle Headsets verwendet, die wie freihändige, tragbare Tablets funktionieren und die Benutzer:innen mit Echtzeit-Videos und Daten aus dem gesamten globalen Netzwerk der Unternehmensstandorte verbinden.

Principal Scientist Nobel Vale

Principal Scientist Nobel Vale

Das alles ist Teil des Programms ARGILE, oder „Assistive Reality Gadgets in Lab Environments“. Programmleiter Nobel Vale, ein leitender Wissenschaftler in der GPS-Produktentwicklungsgruppe, rief die Initiative 2018 ins Leben, um die Machbarkeit und Vielseitigkeit von Assistive-Reality-Tools zu erforschen, die dabei helfen, bestimmte Arbeiten aus der Ferne zu erledigen.

"Dann kam COVID-19", sagte er. "Entsprechend konnten wir nicht mehr reisen und Lieferant:innen, die normalerweise vorbeikommen, um Schulungen anzubieten oder Geräte zu reparieren, mussten ebenfalls mit Einschränkungen leben. Gleichzeitig hatten wir aber immer noch unsere Zeitpläne, um unsere Medikamente für die Patientinnen und Patienten zu produzieren."

Einen weiteren Anwendungsfall während der Pandemie gab es bei der Herstellung eines Medikaments, das für eine klinische Studie benötigt wurde, in der Anlage des Unternehmens in New Brunswick. Dort mussten Geräte installiert werden, die die Produktion des Medikaments überwachen, und die Person mit dem entsprechenden Fachwissen konnte nicht anwesend sein. Mithilfe der Technologie steuerten die Expert:innen daher aus der Ferne die Einrichtung der Anlage vor Ort und konnten auftretende Fragestellungen direkt lösen.

Laut Nobel Vale verfügt das Unternehmen aktuell etwa zehnmal so viele Augmented-Reality-Geräte wie zu Beginn des Pilotprojekts. Zu den weiteren Einsatzmöglichkeiten gehören bereits virtuelle Laborführungen für Bewerber:innen oder Schulungen für Spezialgeräte. "Als die Kolleginnen und Kollegen sahen, was damit alles möglich ist, wurde das Projekt größer und größer", berichtet er.

Lucy Hawarden freut sich darauf, eines Tages wieder vor Ort zu sein. In der Zwischenzeit aber hat sie die Technologie schätzen gelernt und ist froh, dass das wichtige Projekt auf diese Weise umgesetzt werden konnte. Auch über die Pandemie hinaus sieht sie Einsatzmöglichkeiten: "Natürlich sollte die Augmented-Reality-Technologie die persönliche Interaktion nicht vollständig ersetzen, aber in Zeiten eingeschränkter Reisemöglichkeiten oder bei kurzfristig erforderlichen Besichtigungen dürfte sie an Bedeutung gewinnen.“

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